Stellungnahme zu den SAMW-Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» (7. Okt. 2018)

Es ist Aufgabe und Berufung des Arztes, menschliches Leben zu schützen, Gesundheit zu fördern und Leiden zu lindern. Die SAMW-Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» widersprechen diesem Grundsatz und dürfen in der vorgelegten Form nicht in die Standesordnung der FMH aufgenommen werden.

Dieser Meinung ist die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Ärztinnen und Ärzte der Schweiz (AGEAS) mit ihren rund 330 Mitgliedern unter anderem aus folgenden Gründen:

  • Ein Suizidwunsch ist ein Ausdruck des Verzweifelns am eigenen Leben und Leiden und verlangt in erster Linie nach menschlichem / ärztlichem Beistand, nach einer tragfähigen Beziehung und Hilfe zum hoffnungsvollen Weiterleben. Wird eine Situation geschaffen, in der ein suizidaler Patient sein zumeist stark eingeengtes Denken öffnen kann, ist oft auch wieder Lebenswille spürbar. Diese innere Wandlung wird unterstützt von einer kategorisch lebensbejahenden ärztlichen Grundhaltung, auf die gerade die vulnerabelsten unserer Patienten – hochbetagte, gebrechliche, psychisch labile oder chronisch kranke Menschen – angewiesen sind.
  • Ein Arzt, der im Hinterkopf an Suizidhilfe denkt, wird bewusst oder unbewusst eine ambivalente Grundhaltung einnehmen. Er läuft zudem Gefahr, sich der subtilen gesellschaftlichen Forderung nach Produktivität, Jugendlichkeit, Gesundheit und Wirtschaftlichkeit nicht genügend bewusst zu werden, die Patienten unter einen unausgesprochenen und schwer wiegenden Druck setzen kann angesichts der gebotenen Möglichkeit, das Leben vorzeitig zu beenden.
  • Von einer Entscheidung zum Suizid, die wie in den SAMW-Richtlinien gefordert «ohne äusseren Druck» entstanden sein soll, kann in vielen Fällen nicht die Rede sein. Die Gefahr, dass die standesethisch legitimierte Suizidhilfe in Zukunft von Kostenträgern und Politikern implizit als kostengünstige Massnahme in sogenannt ausweglosen Situationen gefördert wird, lässt einen erschaudern. Der Spardruck macht vor einschneidenden Rationierungen nicht halt, wie am Beispiel der Begrenzung der ärztlichen Gesprächszeit ersichtlich ist.
  • Als besonders schwer wiegende Fehlentwicklung betrachten wir die Legitimierung der Suizidhilfe bei Patienten ohne terminale Grunderkrankung. Der Begriff des «unerträglichen Leidens» ist gänzlich ungeeignet für die Verwendung in einer Richtlinie, die medizinischen Fachpersonen Orientierung in einer schwierigen Situation bieten soll. Weder ist die Unerträglichkeit des Leidens in irgendeiner Form objektivierbar, noch gibt es verlässliche Aussagen zu ihrer Konstanz in Abhängigkeit der Zeit.

Wir haben den Eindruck, dass diese Ausweitung der standesrechtlich legitimierten Suizidhilfe, die hier ganz klar als Ziel einer Interessengruppe zu Tage tritt, nicht die Meinung der breiten Basis der Schweizer Ärzteschaft widerspiegelt. In Anbetracht der weitreichenden Folgen, die eine solch drastische Änderung unserer standesethischen Vorgaben hätte, ersuchen wir die Ärztekammer der FMH dringend, die neuen SAMW-Richtlinien nicht in die Standesordnung aufzunehmen.

Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Ärztinnen und Ärzte der Schweiz (AGEAS); Dr. med. Rebekka Russenberger, Bubikon (Präsidentin a.i.); Dr. med. Barbara Weiss, Lyss (Vorstandsmitglied). Erschienen in der Schweizerischen Ärztezeitung vom 24. Okt. 2018.

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