Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG)

Das Schweizer Stimmvolk hatte am 14. Juni 2015 der Verfassungsänderung von Art. 119 Abs. 2c zugestimmt. Damit ist die Untersuchung an Embryonen vor deren Einpflanzung in die Gebärmutter (Präimplantationsdiagnostik, PID) grundsätzlich möglich geworden. Viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sagten Ja zur Verfassungsänderung mit der Absicht, in einem weiteren Schritt, nämlich bei der Formulierung des Ausführungsgesetzes, dem «Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG)», die Grenzen ziehen zu können. Dieses Gesetz erlaubt nun – anders als ursprünglich vom Bundesrat vorgeschlagen - nicht nur Ehepaaren mit bekannten schweren Erbkrankheiten, sondern allen Paaren, welche eine künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation IVF) in Anspruch nehmen, die PID mit sog. Chromosomenscreening. Dagegen war von einer breiten Allianz von links bis rechts das Referendum ergriffen worden, aber das Gesetz wurde am 5. Juni 2016  anlässlich einer Volksabstimmung gutgeheissen.

Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Ärztinnen und Ärzte der Schweiz (AGEAS) unterstützt das Referendum gegen die generelle Erlaubnis der Präimplantationsdiagnostik (PID) für alle Paare, welche In-Vitro-Fertilisation beanspruchen. Mit Hinweis auf die Gefahr, dass sich diese Paare in zunehmendem Masse in Richtung PID gedrängt fühlen, da die implizite Erwartung an die Reproduktionsmedizin darin besteht, gesunden Nachwuchs zu erzeugen. Es dürfte einem beratenden Arzt schwer fallen, von erlaubten diagnostischen Massnahmen abzuraten, genauso wie die Eltern den unausgesprochenen sozialen Druck nach einem gesunden Kind spüren. Bedenkens­wert ist zudem, dass es keine fassbare Grenze gibt, was in Zukunft alles getestet werden könnte.

Es ist wichtig zu betonen, dass aus ethischer Sicht ein Unterschied besteht zwischen der generellen Erlaubnis der PID und der sehr restriktiven Anwendung der PID in der individuellen Situation eines Paares mit schwerer Erbkrankheit. Die Entscheidung für ein ethisch heikles Selektionsverfahren wird in diesem Fall aus einer tiefen Notlage heraus und nicht aufgrund einer empfundenen gesellschaftlichen Norm getroffen, was den ärztlichen Aspekt des Helfens etwas in den Vordergrund rücken lässt. So oder so bleibt aber die PID ein Instrument zur Auswahl von genetischen Eigenschaften mit dementsprechend grossem Missbrauchspotential.

Bereits die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik haben dazu geführt, dass ein ungeborenes Kind je nach Werthaltung seiner Eltern mehrere Tests durchlaufen muss, bevor man sich definitiv für dieses Kind entscheidet. Wir dürfen in diesem Zusammenhang die Augen nicht davor verschliessen, dass der freie Zugang zu vorgeburtlichen diagnostischen Möglichkeiten die Erwartungen der Gesellschaft beeinflusst. Der Rechtfertigungsdruck gegenüber Eltern, die auf vorgeburtliche Tests verzichten oder sich für ein behindertes Kind entscheiden, ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Aber nicht nur behinderte, auch nicht-behinderte Kinder sind für eine gesunde psychische Entwicklung darauf angewiesen, sich als Teil unserer Gesellschaft willkommen zu fühlen und zu spüren, dass ihre Existenz nicht von Beginn weg an zahlreiche Bedingungen geknüpft war. Es gehört mit zu unserer Verantwortung, die sozialen Auswirkungen von diagnostischen Errungenschaften kritisch im Auge zu behalten und gefährlichen Tendenzen aktiv entgegenzuwirken.